"In echt noch schöner" - Direktkandidaten auf Werbetour im Wahlkreis 62 / Heute: Katherina Reiche (CDU)

Wahlkampf ist bisweilen ein saures Geschäft. So auch an diesem Vormittag im Frucht-Erlebnisgarten in Petzow. Katherina Reiche pflückt sich eine Sanddornbeere und beißt hinein. Man müsse schon nachsüßen, in der Regel mit Agavendicksaft, erklärt Plantageninhaberin Christine Berger. Reiche lächelt tapfer. Sie kennt das vitaminreiche Obst aus dem eigenen Garten. „Das Süßblatt ist mir gerade eingegangen“, fachsimpelt sie.

Darum geht es bei der politischen Ochsentour: Interesse für die Leidenschaften und Fragen der Wähler zu heucheln reicht nicht, das merken die Menschen. Ein Politiker muss eigene Anknüpfungspunkte vorweisen können. Daher bevölkert der Typ Hans Dampf in allen Gassen die Szene. Hier heißt Hans Katherina und ist eine fürs Politikgeschäft ziemlich junge Frau. Das schadet nicht. Auf ihre Facebook-Pinnwand hat ein Mann von der anderen Seite der Erdkugel geschrieben: „Ich habe mich in Sie verliebt, als ich Ihr Foto sah.“ Am Straßenstand sagte jemand zur ehemaligen Miss Bundestag, sie sehe „in echt noch schöner aus als auf den Plakaten“. Die Kandidatin erzählt es selbstbewusst: „Ich würde lügen, wenn ich behauptete, solche Komplimente mit Abscheu aufzunehmen.“


Stark geschminkt lächelt die 36-Jährige von hunderten Laternenpfählen im Wahlkreis. Als Unbekannte neulich in Werder mehr als 100 der Porträts verschwinden ließen, erstattete die CDU-Frau zwar Anzeige, scherzt aber: „Ich habe wohl einen großen Verehrer.“ Andere Nachtaktive schmierten ihr ein Grinsen ins Antlitz.

Auf dem Sanddornhof ist sie unter Frauen. Christine Berger zeigt ihr die Weinkelterei, die Verkaufsräume, schwenkt eine Flasche mit knallig orangefarbenem Likör. „Es gab schon Mitbewerber, die sagten, wir würden färben“, erzählt Berger. Katherina Reiche hat drei Kinder und kein einziges graues Haar. „Eigentlich“, sagt sie, „bin ich ein fröhlicher Mensch“. Am heißesten Tag des Jahres war sie mit dem Fahrrad auf Wahlkampftour. 26 Kilometer in Teltow-Fläming hat sie bei 35 Grad absolviert, beobachtet von einem ZDF-Team. Und das auf einem Sieben-Gang-Mifa-Damenrad mit Brezel-Lenker. Vom Wetter ließ sich die Kandidatin kaum Kompromisse aufnötigen. Weiße Dreiviertelhose und Bluse, dazu seriöse Schuhe mit flachen Absätzen. Im klimatisierten Begleitfahrzeug fuhren Werkzeug und Mineralwasser hinterher.

Die Berufspolitikerin, die Edmund Stoiber (CSU) 2002 in sein Kompetenzteam berief – sie wäre unter günstigeren Vorzeichen Familienministerin geworden – trägt den aufgestickten Schriftzug „Luxurious Rebelliousness“ (luxuriöse Aufmüpfigkeit). Rebellion wogegen? Reiche ist CDU-Vorsitzende in Potsdam, verheiratet ist sie mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke und wohnt bei Luckenwalde. Am Abendbrottisch spricht man über das Haus, die Kinder. Gern trägt Reiche ein Kreuz um den Hals. Sie hat sich stark gemacht für die Gründung der katholischen Marienschule in Babelsberg. Dergleichen gilt in manchen Potsdamer Stadtteilen durchaus als umstürzlerisch, wenn nicht gar als konterrevolutionär.

Im Petzower Café wird süßer Sanddornsaft serviert, nebenan löffeln Rentner Buttercremetorte. Dieser Wahlkampfstopp ist einer der leichten. Reiche kauft in Petzow regelmäßig Gewürze für den Garten. In der Nachmittagssonne am Havelufer wirkt die Parlamentarierin nicht so streng und unerbittlich wie bisweilen in politischen Debatten. Hier fehlt das Adrenalin der Arena.

„Lampenfieber habe ich bei ungewohnten Situationen, beim Besuch von Eltern-Kind-Heimen – wenn mich Schicksale erschüttern. Oder in Frostenwalde, wo jugendliche Kriminelle betreut werden“, sagt Reiche. Die Sprache verschlagen hat es ihr aber nie: „Meine Mutter hat auch alle in Grund und Boden geredet.“ Doch schiebt Reiche eilig hinterher: „Jetzt geht es aber ums Zuhören.“

Eine „Reise ins Herz meines Wahlkreises“, nennt sie den Wahlkampf. Er mache Spaß. Ihre Kinder dürfen manchmal mitkommen, auf Radtouren oder Dorffeste. Ansonsten hält sie Maria, Elisabeth und Vincent aus der Politik raus: „Ich möchte ihnen die Privatheit gönnen.“ Dass sie selbst inzwischen zu einer öffentlichen Person geworden ist, damit hat sie zu leben gelernt. „Das gehört dazu“, sagt Reiche. „Es ist manchmal im eigenen Interesse.“ (Von Ulrich Wangemann)

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 15.09.2009

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