„Kein 100-prozentiger Schutz“ - Andrea Voßhoff zur Silberehe mit der CDU und der Gratwanderung bei der Sicherungsverwahrung

Die erste Saison des 2009 gewählten Bundestages ist vorbei. In Sommerinterviews sprechen Abgeordnete aus der Region mit Alexander Engels über ihre Aktivitäten.

Andrea Voßhoff ist rechtspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion.

MAZ: Sie können im nächsten Jahr Silberhochzeit mit der CDU feiern . . .

Andrea Astrid Voßhoff: Ach wirklich? (lacht) Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. So schnell gehen 25 Jahre vorbei . . .

Was hatte Sie zu einem Parteibeitritt bewogen?


Voßhoff: Direkt nach dem Studium wollte ich meine politische Meinung aktiv über eine Partei einbringen und mit gestalten. Schon von Hause aus – ich wurde katholisch erzogen – bin ich konservativ angehaucht und fand so den Weg zur CDU.

Sie kennen die Vorsitzenden und Kanzler Helmut Kohl und Angela Merkel. Wie hat sich die Partei verändert?

Voßhoff: Im Kern ist sie immer noch konservativ und am christlichen Menschenbild orientiert. Ohne dem Zeitgeist nachzulaufen, muss auch eine Volkspartei sich dem Wandel stellen. Merkels Führungsstil ist natürlich ein anderer als Kohls. Dass so unterschiedliche Persönlichkeiten an der Spitze der CDU stehen können, ist der unschlagbare Vorteil einer Volkspartei.

Sind sie nach Opposition und Großer Koalition nun froh über die schwarz-gelbe Regierungszeit?

Voßhoff: Die christlich-liberale Koalition war und ist immer meine Wunschkonstellation gewesen. Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP hat eine gute Ausrichtung. Aber unser Erscheinungsbild nach außen muss besser werden – auch wenn längst nicht jede in der Öffentlichkeit diskutierte Sachfrage gleich ein Streit ist, wie es von den Medien oft hoch gezogen wird.

Können Sie Ihre eigenen Ideen in der Koalition mit der FDP nun besser verwirklichen als vorher?

Voßhoff: In der Rechtspolitik unterscheiden sich Liberale und Union. Das liegt in der Ausrichtung beider Parteien begründet. In der Wirtschaftspolitik etwa ist die Schnittmenge viel größer. Die Rechtspolitik ist ein weites Feld. Es reicht vom jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sorgerecht unverheirateter Väter über das Mietrecht bis hin zur Frage der Sicherungsverwahrung. Als rechtspolitische Sprecherin meiner Fraktion, die ich seit April bin, darf ich an der Gestaltung dieser verantwortungsvollen Aufgabe mitwirken.

Die Sicherungsverwahrung ist sicherlich eines Ihrer brisantesten Themen. Wieso ist es so kompliziert, gefährliche Häftlinge nicht in die Freiheit zu entlassen?

Voßhoff: Ausgangspunkt ist ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Es hat entschieden, dass eine bestimmte Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung, mit der gefährliche Straftäter am Ende ihrer Strafzeit nachträglich in Gewahrsam gehalten werden, gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Ich halte das Urteil für problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht zuvor diese Fälle als verfassungsgemäß eingestuft hatte, gleichwohl ist es natürlich zu respektieren. Das ist ein Spannungsfeld, in dem zwei fundamentale Rechte aufeinandertreffen: die Freiheit des Einzelnen und der Schutz der Allgemeinheit. Auch wenn es keinen 100-prozentigen Schutz gibt, für die CDU gilt: Wir müssen alles rechtlich Mögliche tun, dass Straftäter nicht in Freiheit kommen, solange sie noch eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen!

In einer Rede im Bundestag sprachen Sie von nur 70 betroffenen Häftlingen. Ist das Bohei um das Thema da nicht etwas zu groß?

Voßhoff: Nein, wenn man etwa 20 Polizisten braucht, um so einen Täter in Freiheit zu überwachen, ist das kein „Bohei“. Auf die Zahl kommt es aber auch gar nicht an. Es geht um die Frage: Wie können wir verhindern, dass jemand nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu entlassen wäre, von dem aber Gutachter sagen, dass er stark rückfallgefährdet ist, und zwar besonders bei Sexual- und Gewaltstraftätern? Wie können wir den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung sicherstellen? Auf Drängen der Union hat sich die Koalition darauf verständigt, in die anstehenden Reformüberlegungen nunmehr für diese und vergleichbare Fälle eine zusätzliche Regelung zur sicheren Unterbringung von psychisch gestörten Gewaltstraftätern aufzunehmen.

Die Täter sind bis zu 15 Jahre lang in Haft. Ist das nicht Zeit genug, um ihnen die Gefährlichkeit zu nehmen? Muss nicht die Resozialisierung in den Gefängnissen deutlich verbessert werden?

Voßhoff: Ja, Therapien und die Resozialisierung müssen ausgebaut werden. Dies ist parallel zu den Reformbemühungen des Bundes die Aufgabe der Länder. Dennoch darf man nicht verkennen, dass es immer auch Täter geben wird, die nicht therapierbar sind und deshalb in sicherer Verwahrung bleiben müssen.

Und warum will die Union dann auch noch die elektronische Fußfessel, die eigentlich gar keine ist?

Voßhoff: Es geht um eine elektronische Aufenthaltsüberwachung, die mit einem GPS-System ausgestattet ist. Der Häftling bekommt Auflagen, wo er sich aufhalten darf und wo nicht. Von der Führungsaufsicht kann dies über GPS kontrolliert werden.

Aber Kinder halten sich überall auf, auch dort, wo ein Gewalttäter hingehen darf.

Voßhoff: Deshalb sprechen wir auch nur von einem zusätzlichen Hilfsmittel in den Fällen, in denen eine Freilassung absolut nicht verhindert werden kann. Es ist natürlich kein 100-prozentiger Schutz, sondern ein weiteres Hilfsmittel der Überwachung.

Wir würden Sie sich fühlen, wenn Ihr Nachbar ein gefährlicher Schwerverbrecher wäre?

Voßhoff: Keine Frage, dass man sich dann seine Gedanken macht. Ich hätte mir gewünscht, dass der Europäische Gerichtshof dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Neuregelung gewährt hätte. Jetzt müssen wir mit dem Urteil umgehen. Mit den Reformüberlegungen zur Sicherungsverwahrung für künftige Straftäter und den ergänzenden Regelungen für die Altfälle ist die Koalition dabei auf gutem Wege. Und dabei kämpft die Union rechtspolitisch um jeden Millimeter, wie die Sicherheit der Bevölkerung besser geschützt werden kann.

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 09.09.2010

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