4 von 56 - Arbeitsgruppe zur Stasi-Überprüfung der Abgeordneten stellt Ergebnisse vor / Debatte größtenteils nichtöffentlich
- 14. Dezember 2011
„Wir versuchen, mit der heutigen Sitzung Geschichte zu schreiben.“ Das kündigte der Kreistagsvorsitzende Christoph Schulze (SPD) am Montagabend in Luckenwalde an. Fest steht: Es wurde eine außergewöhnliche Sitzung. Sie dauerte länger als üblich (22.30 Uhr), und sie wurde mehrfach für nichtöffentliche Beratungen unterbrochen. Am Ende wurde mitgeteilt, dass bei vier der 56 Abgeordneten „Hinweise auf eine Mitarbeit“ mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR vorliegen. Es handelt sich um Hans-Jürgen Akuloff, Rudolf Haase (beide Linke), Bernd Heimberger (PTF) und Manfred Georgi (FDP).
Zwischenzeitlich war nicht klar, ob diese Namen überhaupt öffentlich werden. Schulze hatte offenbar eine Beschlussvorlage vorbereitet, die statt Namen von „A“, „B“, „C“ und „D“ sprach. Ein Antrag der CDU auf öffentliche Debatte zum Bericht der Arbeitsgruppe und den Schlussfolgerungen des Kreistags wurde abgelehnt. Und so schlossen sich die Türen des Kreistagssaals für zwei Stunden. Zwei Stunden, in denen immer wieder Abgeordnete kopfschüttelnd den Saal verließen, sich die SPD-Fraktion zu einer Sondersitzung traf und in denen einige interessierte Einwohner entnervt das Gebäude verließen.
Gegen 20.30 Uhr erhielt dann der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, der Publizist Gilbert Furian, das Wort. Er bedankte sich knapp dafür, dass der Beschluss öffentlich gemacht wurde. CDU-Fraktionschef Danny Eichelbaum wies darauf hin, dass „man die Machenschaften der Stasi nicht verklären“ soll. Die Stasi sei keine Regierungsorganisation, sondern eine Verbrecherorganisation gewesen. Für seine Fraktion sagte er, dass sie jeden Fall genau angeguckt hätte. Demnach sollten bei Georgi keine Konsequenzen gezogen werden, Heimberger („kein Interesse an Aufklärung“) und Haase („er war ein Denunziant“) sollten ihre Mandate niederlegen, bei Akuloff wurde dies „ausdrücklich nicht“ gefordert.
Namens der Linken sprach Kornelia Wehlan. Sie wies darauf hin, dass es keine Pflicht zur Mandatsniederlegung gibt. Man müsse auch die „persönliche Weiterentwicklung“ beachten; Akuloff und Haase hätten sich um Luckenwalde und Kreis verdient gemacht, zudem seien beide offen mit ihren Biografien umgegangen. „Der Schritt der Auswirkung auf das Mandat ist nicht geboten.“
„Sie müssen sich Ihrer Moral stellen“, sagte Heide Igel (SPD), „und die Fraktionen müssen überlegen, ob sie solche Mandatsträger wirklich brauchen.“ Andererseits seien diese eben auch gewählt worden.
Gerhard Kalinka (Grüne) sagte, dass er als „Wessi“ ein „bisschen außenstehend“ ist. Er warb für „Verständnis füreinander auf der Grundlage der Information“. Man sollte gemeinsam überlegen: „Wie kann so ein System in dieser Form nie wieder entstehen?“
Für seine Fraktion sagte Matthias Nerlich (FDP), dass „in keinem Fall eine Mandatsniederlegung erforderlich“ ist. Persönlich fügte er an: „Ich bin zutiefst enttäuscht über die vielen Unterlagen, die seitens Herrn Haase bestehen. Ich appelliere an seine Ehrhaftigkeit, eigene Konsequenzen zu ziehen.“
Keiner der vier Belasteten ergriff das Wort. Heimberger, der nicht an der Sitzung teilnahm, wollte sich gestern auch auf Nachfrage der MAZ nicht äußern. (Von Ekkehard Freytag)
Die Ergebnisse
Zitate aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppe:
Manfred Georgi hatte als stellvertretender Amtstierarzt im Rahmen der Tierseuchenbekämpfung berufliche Kontakte zum MfS. Spitzelberichte, die von ihm erwartet wurden, hat er ausdrücklich abgelehnt.
Hans-Jürgen Akuloff war im Rahmen seiner hauptamtlichen Tätigkeit bei der Bezirksleitung der FDJ von 1978 bis 1980 für das MfS tätig; eine Erklärung zur Berufung in diese Aufgabe hat er unterschrieben. Die Unterlagen der BStU umfassen 265 Seiten.
Zu Bernd Heimberger liegen verfilmte Karteikarten der „Rosenholzdatei“ der Hauptverwaltung Aufklärung vor, aus denen hervorgeht, dass er zwischen 1982 und 1988 als IM geführt wurde. Da die entsprechende Akte bisher nicht gefunden wurde, kann nicht gesagt werden, ob – und wenn ja, in welchem Umfang – er für das MfS tätig war.
Rudolf Haase hat von 1966 bis 1987 für das MfS gearbeitet. Eine persönliche Verpflichtungserklärung liegt vor. Die Unterlagen der BStU haben einen Umfang von 772 Seiten. Er hat vor allem Personeneinschätzungen sowie Stimmungsberichte aus seinem Arbeitsumfeld geliefert. efg
INTERVIEW
„Diese kleine Wahrheit“
Gilbert Furian leitete die Arbeitsgruppe zur Stasi-Überprüfung der Kreistagsabgeordneten. Er berichtete Ekkehard Freytag von der Arbeit.
MAZ: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der Arbeit der Arbeitsgruppe?
Gilbert Furian: Gemessen an dem, was zu befürchten war – dass nichts öffentlich wird – bin ich mit dieser Minimalvariante, dieser kleinen Wahrheit, erst mal zufrieden. Aber schon der Start stand unter einem ungünstigen Zeichen.
Inwiefern?
Furian: Der Beschluss der Kreistagsmehrheit vom Februar 2010 als unsere Arbeitsgrundlage war wenig präzise. Eine politische Einordnung oder die Frage, warum wir überhaupt untersuchen, wurde gar nicht gestellt.
Wurden Sie vom Kreistagsvorsitzenden Christoph Schulze unterstützt?
Furian: Er hat immer wieder versucht, der Arbeitsgruppe Knüppel vor die Füße zu werfen. Mit Datenschutzargumenten, die wir aber alle entkräften konnten. Und er hatte eine Beschlussvorlage erstellt, in der weder Namen noch Fraktionen genannt wurden.
Mich wundert, dass die Arbeitsgruppe keine Empfehlung abgab, ob Belastete ihr Mandat behalten sollen.
Furian: Das war von vornherein nicht das Ziel. Die jeweilige Fraktion sollte erklären, ob der jeweilige Abgeordnete sein Mandat behält.
Ich fand es schade, dass jetzt so viel nichtöffentlich diskutiert wurde.
Furian: Das zuerst alles nichtöffentlich beraten wurde, hat den Sinn, dass Belastete sich erklären konnten. Doch das hat niemand in Anspruch genommen. Nun ist Herr Georgi kein IM im strengeren Sinne und Herr Heimberger war nicht da. Aber Herr Akuloff und vor allem Herr Haase hätten sich äußern können. Doch da war kein Bedauern, keine Reue.
Wie sehen Sie das Verhalten der Linkspartei?
Furian: Sie agiert doppelzüngig: Einerseits verurteilt sie die Überwachung des eigenen Volkes durch die Staatssicherheit, andererseits beschützt sie einen, der 23 Jahre daran sehr intensiv mitgewirkt hat, wie eine Glucke.
Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 14.12.2011