Schuld wurde jahrelang staatsverordnet „weggedrückt“ - CDU-Abgeordnete lud am Holocaust-Gedenktag zum Gespräch nach Wünsdorf
- 29. Januar 2010
„Schwieriges Erinnern – Antisemitismus in der DDR“ war am Mittwochabend die Podiumsdiskussion im spärlich besetzten großen Saal des Bürgerhauses überschrieben. Kurz entschlossen zogen die zwei Dutzend Besucher ins Foyer um, schufen damit Nähe und persönlichere Atmosphäre. „Bei einer Demonstration mitzugehen ist natürlich einfacher als sich im Gespräch einem solchen Thema zu stellen“, sagte CDU-Stadtverordnete Susanne Michler nach der Runde, zu der sie anlässlich des Holocaust-Gedenktages geladen hatte.
Frank Kallensee, Kulturredakteur der MAZ in Potsdam, leitete ein Podium von Forschenden und Publizierenden, die sich mit diesem Thema und tangierenden Themen befassen. „Hammer, Zirkel, Judenstern – passt das zusammen?“, so seine Eröffnungsfrage ans Podium.
Historiker Thomas Haury, der im Jahre 2002 über Antisemitismus von links promovierte, streifte die verschiedenen Phasen des offiziellen Umgangs der DDR-Führung mit jüdischen Überlebenden und dem neuen Staat Israel: Nach kurzer Scham und kollektivem Schuldeingeständnis wurde rasch der sowjetische Kurs eingeschlagen. Bis 1953 gab es Verhaftungen und Verurteilungen von Juden und eine erneute Fluchtwelle von ihnen ins Ausland. Dann wurde der antifaschistische deutsche Staat proklamiert, der wie selbstverständlich von Natur aus frei von jeglicher Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk war. Er war friedliebend, voller „reiner“ Bürger und Machthaber ohne Vergangenheit – die Bösen waren die Kapitalisten und Imperialisten auf der anderen Seite.
Als die DDR diese allzu unkomplizierte wie falsche Richtung formal aufgab, ökonomischen Zwängen folgend in den 1980er Jahren eine israelfreundliche Politik einschlug, um sich der wirtschaftsstarken USA anzudienen, spielte das kaum noch ein Rolle.
Viele DDR-Bürger hinterfragten das neue Diktat nicht mehr. Im Hintergrund gab es jedoch immer permanente Zeichen des Antisemitismus, von denen Monika Schmidt vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin berichtete. Sie recherchierte über Schändungen jüdischer Friedhöfe in der DDR und belegte sie detailreich.
Von der dünnen Decke an DDR-Literatur, die wahrheitsgetreu über jüdisches Leben während des Nationalsozialismus schrieb, sprach Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro. Er hob Fred Wanders „Der siebente Brunnen“ hervor.
Konstanze Ameer, Mitverantwortliche der Ausstellung „Das hat’s bei uns nicht gegeben“, die seit 2007 in Ostdeutschland gezeigt wird und auch im Bürgerhaus Wünsdorf Station machte, wurde nach Besucherreaktionen gefragt. „Genau den Titel unserer Ausstellung bringen viele dabei über die Lippen“, so die junge Frau.
Ein Blankenfelder im Auditorium lieferte die Steilvorlage zur Diskussion: „Ich weiß nicht, ob es in meiner Heimatstadt Wismar einen jüdischen Friedhof gegeben hat. Außerdem: die Liegezeiten waren doch irgendwann abgelaufen, keiner kümmerte sich mehr, alles verwahrloste. Wer sollte denn die Unterhaltung bezahlen?“ Über das große (Ver-)Schweigen und Ignorieren der DDR-Oberen und die für die Bürger daraus resultierende Bequemlichkeit, sich nicht mit Schuld in der Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen, wurde viel gesprochen.
Was staatsverordnet „weggedrückt“ wurde, kam nach 1990 mit aller Wucht auf Otto Normalverbraucher Ost zu: Wiedergutmachung, Entschädigung, Schuld. Die Schlussstrich-Diskussion der 1950er Jahre im Westen erreichte den Osten.
Ein unbequemes Thema – wie sich zeigte – trifft es doch auch heute noch viele „reine“ Herzen. Die Diskussion verdeutlichte, dass Antisemitismus in der DDR auch 20 Jahre nach der Wende nicht tiefgründig beleuchtet, gedacht und schon gar nicht bewältigt wurde. (Von Andrea von Fournier)
Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 29.01.2010