Der Umgang mit dem Stasi-Erbe - Christdemokraten diskutieren mit Helmut Müller-Enbergs über die damalige Spitzeltätigkeit in Luckenwalde

Exakt 467 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit hat es zu DDR-Zeiten in Luckenwalde gegeben. Im Verhältnis zu den Einwohnern im damaligen Altkreis Luckenwalde heißt das: Auf jeden Stasi-IM kamen weniger als 80 erwachsene Einwohner.

So konkrete Zahlen über das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Region Luckenwalde hatten die meisten Besucher in der CDU-Runde am Donnerstagabend noch nie gehört. Der CDU-Stadtverband Luckenwalde hatte zur Mitgliederversammlung eingeladen und sich dafür einen hochkarätigen Gesprächspartner geholt: Helmut Müller-Enbergs, wissenschaftlicher Referent beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, stand den Zuhörern drei Stunden lang Rede und Antwort.

27 000 Stasi-IMs gab es laut Müller-Enbergs im damaligen Bezirk Potsdam. Luckenwalder Schwerpunktbetriebe für die Spitzeltätigkeit waren unter anderem das Wälzlagerwerk, die Möbelwerke, der VEB Kontaktbauelemente, das Feuerlöschgerätewerk, der VEB Kraftverkehr, aber auch die Medizinische und Pädagogische Fachschule, das Institut für Getreidezucht Petkus, die sowjetischen Truppen und die GST-Fliegerschule in Schönhagen. Ausspioniert wurde ebenso im Krankenhaus, in den Verwaltungen und selbst in der Sauna des damaligen Stadtbades.

Überrascht war manch Zuhörer vom Anteil der weiblichen IMs. „Ich hab’ gedacht, das muss mehr als die Hälfte sein, Frauen kriegen doch viel mehr raus“, räumte Müller-Enbergs ein. Doch gefehlt: „Nur 17 Prozent der IMs waren Frauen.“

Klartext sprach der Publizist auch beim Parteienanteil: 70 Prozent aller inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter waren Mitglied der SED, neun Prozent Mitglied in einer Blockpartei.

Hauptamtlich waren in Luckenwalde 31 Mitarbeiter für die Stasi tätig. „20 von ihnen waren Führungsoffiziere und zehn blutjunge Mitarbeiter, das war eher ungewöhnlich“, erklärte Müller-Enbergs.

Fast schon lächerlich wirkten die Fakten, als der Politologe erzählte, in welche 27 Kategorien die Stasi selbst ihre IMs eingeteilt hatte – volkstümlich gesprochen von unterbelichtet über Musterbürger bis intelligent. Originalberichte von IMs, die der Experte zum Besten gab, zeigten die Bandbreite der Spitzeltätigkeit – von völlig belanglosen Beobachtungen der Nachbarn im Liegestuhl bis zum Denunzieren von Ausreisewilligen. Selbst das eigene Tagebuch einer kriselnden Ehebeziehung wurde an den Sicherheitsapparat weitergeleitet. IM Ball vom Rat des Kreises, IM Friedrich vom Feuerlöschgerätewerk, IM Horst aus dem Wälzlagerwerk oder IM Strauß aus dem Stadtbad finden sich ebenso wieder wie IM Blume, Oskar, Ursel oder Eberhard. „Nur ein Deckname war verboten – Judas“, erklärte Helmut Müller-Enbergs. Offiziell wollte die Spitzel-Maschinerie keinesfalls als Verräter dastehen.

„Wer als IM behauptet, er hat niemandem geschadet, ist sehr voreilig“, sagte Müller-Enbergs, „niemand konnte wissen, was aus seiner Information gemacht wird.“ Er gab seinen Zuhörern mit auf den Weg: „IMs fürchten sich nicht vor Haft oder Medienschelte; am besten wirkt, wenn man sie auslacht.“

CDU-Landtagsabgeordneter Sven Petke nutzte das Schlusswort zu einem politischen Statement: „Es ist unfassbar, wenn der SPD-Landrat Peer Giesecke dem CDU-Kreistagsabgeordneten Danny Eichelbaum sagt, er solle sein Mandat zurückgeben, wenn er nicht mit ehemaligen Stasileuten zusammenarbeiten will. Ich werde die Landesregierung fragen, wie sie dazu steht.“ (Von Elinor Wenke)

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 20.02.2010

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