Sechs Quader Geschichte - Neue Stolpersteine erinnern in der Kreisstadt an eine jüdische Familie

Das Letzte, was an den lebenden Sigismund Cohn erinnert, ist eine Nummer in einer vergilbten Akte. Transport I/65 hieß der Zug, der den Luckenwalder Juden ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportierte. Was mit ihm passierte, ist bis heute nicht bekannt.

Wenn man von sechs Millionen Holocaust-Opfern im Zweiten Weltkrieg hört, „ist das so abstrakt, dass das Grauen untergeht“, sagte der Kölner Künstler Gunther Demnig gestern in der Luckenwalder Puschkinstraße vor dem einstigen Haus des Deportierten. Dort verlegte Demnig sechs Quader, deren glänzende Messingoberfläche künftig aus dem Pflaster leuchten und so an Sigismund Cohn und seine Familie erinnern sollen. Nach Kuba, Australien und Palästina mussten sein Bruder und seine Neffen und Nichten während des NS-Regimes flüchten.

„Hinter jedem einzelnen Schicksal steckt eine eigene Geschichte. Darauf möchte ich mit meinem Projekt aufmerksam machen“, sagte Gunter Demnig. Außerdem könne man die Familie zumindest gedanklich wieder zusammenführen. „Es ist eigenartig: 60 Jahre redet keiner darüber und dann fallen den Menschen durch diesen Impuls die Geschichten wieder ein“, sagte der Künstler.

Mehr als 25 000 solcher Steine hat er bereits in rund 570 Kommunen in ganz Europa verlegt. Zum zweiten Mal kam er gestern auf Initiative des CDU-Ortsvereins nach Luckenwalde.

„Mir wird oft vorgeworfen, dass man so auf den Gepeinigten umhertrampeln würde. Ich finde, man poliert ihr Schicksal wieder blank“, sagte Gunter Demnig. Ein Schüler habe es bei einer solchen Veranstaltung noch schöner gesagt: „Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen drüber.“

„Ich bin gerührt, dass es noch Menschen gibt, die an meine Vorfahren denken und dass das, was ihnen zugestoßen ist, nicht vergessen wird“, sagte Miriam Lensky. Sie zählt zu den Nachkommen der Familie und reiste mit ihrem Ehemann extra aus Israel nach Luckenwalde.

„Ich freue mich vor allem über die vielen jungen Menschen, die heute gekommen sind“, sagte der CDU-Landesvize Sven Petke. Das habe auch den Künstler gewundert. „Ich dachte, Jugendliche seien von diesem Thema schon extrem gelangweilt. Dabei sind sie nicht nur bewegt, sie geben auch neue Impulse“, sagte er. Im kommenden Jahr wird er nach Luckenwalde zurückkommen und weitere Steine verlegen. (Von Marion Schulz)

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 07.07.2010