"Es wird keine Mauern und Zäune geben"

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke über die Flüchtlingskrise, die Stimmung in der Union und ihre Mutterschaft

Als Jana Schimke im Herbst 2013 als Direktkandidatin für die Landkreise Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald in den Bundestag einzog, war kaum abzusehen, welchen Herausforderungen sich der Staat und die Parteien in der folgenden Legislatur würden stellen müssen. Die Flüchtlingskrise ist zu einer der größten Staatskrisen der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden, und die 36 Jahre alte CDU-Abgeordnete ist mittendrin.

Zum Interview empfängt sie in ihrem Rangsdorfer Wahlkreisbüro, dem alten Spritzenhaus der örtlichen Feuerwehr. Es gibt Kaffee.

MAZ: Frau Schimke, die Flüchtlingskrise ist ein harter Test für die deutsche Gesellschaft, aber ebenso auch für die Union im Bundestag. Wie erleben Sie das?

Jana Schimke: Es ist eine Ausnahmesituation für das Land. Diese Rückmeldung bekommen wir Abgeordneten auch aus allen Teilen der Gesellschaft. Es ist aber auch eine Ausnahmesituation für uns als Union und für die Koalition.

Wie sehen die Rückmeldungen, die Sie bekommen, genau aus?

Schimke: Wir erhalten alle sehr viele Zuschriften zum Thema Flüchtlinge, in denen sich die Bürger kritisch zur aktuellen Lage und ihren Sorgen äußern. Dazu kommen die Rückmeldungen aus den Kommunen und die Vielzahl an Demonstrationen - das alles sind für mich eindeutige Signale, dass wir dringend handeln müssen. Wir müssen die Zahl der Asylbewerber reduzieren.

Der Politik wird aber gerade vorgeworfen, dass sie nicht ausreichend handelt.

Schimke: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Situation zu entspannen und wir haben schon vieles getan in den letzten Monaten. Mit dem Asylpaket I haben wir erste wichtige Weichen gestellt, Länder und Kommunen bekommen in diesem Jahr insgesamt 3,6 Milliarden Euro für die Unterbringung und die Integration von Flüchtlingen. Und wir haben die zentrale Registrierung von Asylbewerbern in Deutschland eingeführt. In den nächsten Wochen wird außerdem das Asylpaket II beschlossen, mit dem wir vor allem die Registrierungszentren schaffen, in denen sich künftig jeder Asylbewerber, der die Grenze übertritt, melden muss. Der Bund übernimmt damit die Registrierung und wird Asylbewerber nötigenfalls von den Zentren aus auch gleich wieder zurückführen.

Über die Stimmung in der CDU-Fraktion hört man wenig Gutes. Ist sie wirklich so schlimm?

Schimke: Für die Union ist die Situation nicht einfach. Wir sind eine große Volkspartei mit sehr unterschiedlichen Meinungsbildern. In einer Fraktion mit 311 Abgeordneten muss man da erst einmal einen Weg finden, den alle mitgehen können.

Das scheint nicht recht zu gelingen. Man liest sogar, dass Wolfgang Schäuble schon als Merkel-Nachfolger bereitsteht.

Schimke: Alle in der Unionsfraktion haben die bisherigen Beschlüsse unterstützt, und damit auch den Kurs der Kanzlerin. Aber die Kollegen bringen eben auch die Kritik aus den Wahlkreisen mit, die zum Teil berechtigt ist. Darüber muss man reden. Natürlich diskutiert man da in der Sache auch mal hart, aber es geht immer sachlich und fair zu.

Wie groß ist der Druck, den Sie selbst spüren?

Schimke: Schon groß. Nur kann Politik leider nicht immer so einfache Lösungen bieten, wie es einige glauben machen wollen. Wir machen die Grenze zu und dann sei das Problem gelöst – so leicht ist es nicht. Auch in der Asylpolitik gilt es, nationale und internationale Richtlinien und Vorgaben zu beachten, deshalb braucht es auch eine Vielzahl an Lösungsansätzen. Aber wir verzeichnen ja durchaus Erfolge.

Welche?

Schimke: Die Bearbeitungszeit der Asylanträge hat sich von sieben auf fünf Monate verkürzt. Wir haben die Zahl der Abschiebungen verdoppelt, auch die Zahl der freiwilligen Ausreisen erhöht sich. Trotzdem bleibt die Asyl- und Flüchtlingspolitik eine große Herausforderung, es geht schließlich um Menschen.

Sie sagten, dass in der Union ein breites Meinungsspektrum herrscht, zwischen den Hardlinern aus der CSU und jenen Parteikollegen, die eine humane Asylpolitik befürworten. Wo stehen Sie da?

Schimke: Ich kann jede Auffassung verstehen. Wir haben unseren christlichen Hintergrund, einen humanitären Auftrag und unsere Gesetze, die einzuhalten sind. Aber diese Aufgabe darf uns nicht überfordern. Deshalb müssen wir einen Mittelweg finden.

Wo muss der Bund aus Ihrer Sicht noch nachsteuern?

Schimke: Erst einmal müssen wir unsere bisherigen Beschlüsse umsetzen. Dazu gehören europäische Aufgaben, aber auch nationale. Ich finde es einen unhaltbaren Zustand, dass es bisher möglich war, sich in Deutschland mehrfach registrieren zu lassen, dass Fingerabdrücke nicht zentral erfasst wurden, dass man unter mehreren Identitäten leben konnte. Aber künftig werden Asylbewerber nur noch einmal registriert, und die Daten werden dann in allen Institutionen abrufbar sein. Mit dem Asylpaket II werden wir außerdem den Familiennachzug für Flüchtlingemit subsidiärem Schutz für zwei Jahre aussetzen, Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären oder auch Verstöße gegen die Residenzpflicht schärfer sanktionieren. Wir tun dies nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten.

Wie realistisch ist die oft bemühte Option einer Grenzschließung?

Schimke: Da werden leider die absurdesten Bilder in der Öffentlichkeit transportiert. Um das klarzustellen: Es wird keine Mauern und Zäune geben. Niemand will die DDR zurück. Es ging immer um Grenzkontrollen, um Registrierung an den Grenzen und darum, dass direkt vor Ort entschieden wird, ob die Menschen verteilt oder gleich zurückgeführt werden. So ähnlich wird es jetzt mit den Registrierungszentren auch laufen, nur dass diese nicht an der Grenze, sondern einige Kilometer im Landesinnern liegen werden.

Wie werden die Flüchtlinge dann daran gehindert, über die grüne Grenze einzureisen?

Schimke: Gar nicht. Aber wenn man nur über die Registrierungszentren Asyl bekommt, muss sich trotzdem jeder dorthin begeben. Denn nur dort bekommt man den Flüchtlingsausweis, und nur mit dem hat man ein Anrecht auf Leistungen.

Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion, die Grenzen nötigenfalls mit Waffen zu schützen?

Schimke: Das ist typischer AfD-Sprech, absoluter Unsinn. Ich schließe mich den Stimmen an, die das in hohem Maße verurteilen.

Die Debatte darüber zeugt doch aber von einer Radikalisierung, die zunehmend als bedrohlich empfunden wird, bedrohlicher noch als die schiere Zahl der Flüchtlinge.

Schimke: Das ist ein ernsthaftes Problem. Meinung wird oft durch Emotionen gesteuert. Nur: Wir können nicht aus der Emotion heraus Politik machen. Wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Gleichwohl müssen wir die Stimmung vor Ort ernst nehmen. Und da reicht es nicht, darauf hinzuweisen, dass Deutschland ein offenes Land ist und Menschen in Not unterstützt. Wir müssen auch sagen, wo die Grenzen unserer Kapazität liegen.

Wo liegen sie denn?

Schimke: Die kann man nicht quantifizieren, man kann sie aber spüren. An Umfragen, an der Stimmung bei Bürgerversammlungen, in Gesprächen mit Landräten, Bürgermeistern oder Gemeindevertretern.

Können Sie Bürger im Gespräch von ihren Ängsten abbringen?

Schimke: Nicht gänzlich. Die Menschen finden gut, was wir beschlossen haben, sie unterstützen auch unsere Pläne. Aber eine Stimmungsänderung wird es erst geben, wenn die Zahlen zurückgehen.

Wie erleben Sie die Kanzlerin unter diesem enormen Druck?

Schimke: Als Kanzlerin hat man gelernt, mit solchen Situationen umzugehen. Und Angela Merkel ist eine beeindruckende Persönlichkeit.

Fühlen Sie sich von ihr gehört?

Schimke: Ja.

Als Sie im Herbst 2013 Abgeordnete wurden, müssen Sie sich die Arbeit anders vorgestellt haben.

Schimke: Nein, es ist Aufgabe von Politik, gerade solche Herausforderungen zu bewältigen.

Haben sich Ihre Hoffnungen und Vorstellungen denn erfüllt?

Schimke: Ob man eine gute Arbeit geleistet hat, zeigt sich immer erst bei der nächsten Wahl.

Weiß Angela Merkel, wer Jana Schimke ist?

Schimke: Sie kennt alle Abgeordneten ihrer Bundestagsfraktion.

Sie sind im vorigen Jahr Mutter geworden. Acht Wochen später saßen Sie wieder im Bundestag. Wie bekommen Sie Familie und Politikbetrieb unter einen Hut?

Schimke: Mein Lebensgefährte nimmt Elternzeit, allerdings nicht durchgängig. Wir betreuen unseren Sohn abwechselnd. Das funktioniert, erfordert aber viel Planung.

Wie lang ist der Arbeitstag einer Bundestagsabgeordneten?

Schimke: In Sitzungswochen können das Plenum und andere Sitzungen schon mal bis Mitternacht dauern. Die Wahlkreiswochen organisiert sich jeder Abgeordnete selbst. Wie alle Eltern muss auch ich da Prioritäten setzen.

Frau Schimke, Sie fassen im Bundestag Beschlüsse, die zumeist das gesamte Bundesgebiet betreffen. Gewählt wurden Sie aber für den Wahlkreis 62. Was können Sie für Ihren Wahlkreis konkret tun?

Schimke: Meine Arbeit ist vor Ort natürlich anders spürbar als etwa die eines Bürgermeisters. Aber wir sind gerade dabei, den Ausbau der B 87n im Spreewald zu ermöglichen. Ich konnte neulich Fördermittel für das Schloss Wiepersdorf übergeben und kämpfe gerade für den barrierefreien Ausbau der Bahnhöfe in Baruth und Thyrow. Hauptsächlich geht es natürlich schon darum, im Bundestag Entscheidungen zu treffen, von denen alle profitieren.

Werden Sie 2017 wieder antreten?

Schimke: Das möchte ich sehr gerne. Wenn meine Partei das auch möchte, freue ich mich auf den Wahlkampf.

Können Sie sich auch ein Leben ohne Politik vorstellen?

Schimke: (lacht) Das sollte man! Politik ist nichts, was ein Leben lang dauern muss. Man unterliegt so vielen Unwägbarkeiten, deshalb sollte man immer einen Plan B bereithalten.

Haben Sie einen Plan B?

Schimke: Ich konzentriere mich voll und ganz auf Plan A, und das ist die Politik.

Quelle: Märkische Allgemeine, Dahme-Kurier vom 06.02.2016

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